Praxis

herd of horses back to the pasture in the countryside, English horses

Welchen Beitrag kann die Reittherapie zur neuromotorischen Förderung leisten?

- Melanie Kotsch (2023)

Dreidimensionale Bewegungsübertragung

Der zentrale Aspekt neuro und sensomotorischer Förderung mit dem Pferd ist die  dreidimensionale Bewegungsübertragung im Schritt und der daraus entstehende Bewegungsdialog zwischen Reiter und Pferd (vgl. ABB Klüwer, Anhang 1). Nur in der Gangart Schritt erfolgt die gewünschte, dreidimensionale Bewegungsübertragung auf den Reiter.

Strauß schreibt dazu: „Der Bewegungsablauf des Schrittes ist ein Viertakt, die Fußsetzung erfolgt jeweils auf der gleichen Seite, aber nicht zu gleicher Zeit, hinten links/vorne links, hinten rechts/vorne rechts. Bei den acht Bewegungsphasen einer Schrittfrequenz folgt einem Dreibeinstand jeweils alternierend ein Zweibeinstand diagonal oder gleichseitig.

Das Pferd löst dabei folgende zwingende Primärbewegungen des Reiters aus:

a) Schub nach vorne durch die Beschleunigung beim Abfußen, das Becken des Reiters wird mit nach vorne genommen worauf sich kurze Zeit später beim Auffußen der Brustkorb des Reiters rhythmisch wieder über dem Becken einsortiert

b) Verschiebung der Sitzfläche nach oben und unten durch das Untertreten und nach hinten Heraustreten der Hinterhand, diese führt zu einer leichten Kompression und Traktion der Wirbelsäule

c) Verschiebung der Sitzfläche nach rechts und links durch die Lateralflexion der Wirbelsäule des Pferdes, diese fordert vom Reiter eine Haltungsreaktion mit Anpassungen im Rumpf

d) Des Weiteren löst das Pferd subtile Primärbewegungen aus, die von einem Reiter mit einem beweglichen, aufgerichteten Becken aufgenommen werden können:   Kippen der Sattellage nach rechts und links durch Rotation des Pferdebrustkorbs um die eigene horizontale Achse, der Reiter wird im Becken auf der jeweiligen Seite mit nach unten genommen und muss aktiv im Brustkorb widerlagern

e) homolaterales alternierendes Vorschieben der Sattellage durch Hüftbewegung des Pferdes, beim Reiter wird die entsprechende Beckenseite horizontal nach vorne geschoben, was eine Rotation in der Lendenwirbelsäule und eine rotatorische Widerlagerung der Brustwirbelsäule auslöst sowie ein verzögertes Nachkommen der Extremitäten (Beinpendel und Armpendel genannt)

Damit der Reiter von der dreidimensionalen Bewegungsübertragung profitieren kann, müssen verschiedene Faktoren erfüllt sein, wie beispielsweise eine physiologisch korrekte Sitzhaltung mit einem beweglichen Becken sowie ein Therapiepferd mit geeigneten, taktreinen Bewegungsmustern, das zudem von seiner Bewegungsamplitude her zum jeweiligen Reiter passt.

Gerade den Bewegungsimpulsen des Pferdes, die beim Reiter „feine gegensinnige Rotationsbewegungen der Wirbelsäule auf verschiedenen Höhen“ auslösen, kommen eine tragende Rolle zu. Nach Strauß spielen diagonale Bewegungsmuster bei der neurophysiologischen Entwicklung der Motorik von Kindern und dem Funktionieren der Motorik bei Erwachsenen eine entscheidende Rolle.

Eine Untersuchung einer japanischen Forschergruppe ergab, dass die Bewegungsimpulse eines Pferdes im Schritt und die des menschlichen Gehens sowohl quantitativ als auch qualitativ vergleichbar sind, so dass das Reiten im Schritt motorisch sensorischen Input generieren kann, die dem eines menschlichen Gehens ähnelt. Unter guten Voraussetzungen scheint es möglich, funktionelle und physiologisch gesunde, symmetrische Bewegungsmuster im Reiter hervorzurufen und neuronal auszubilden, indem dieser vom Pferd dreidimensional rhythmisch bewegt wird.

 

Vestibuläre und Propriozeptive Stimulation

Stellt man sich das Reiten im Schritt in einem dreidimensionalen Koordinatensystem vor, erhält man ein Bild der vestibulären und propriozeptiven Reize in jeder Achsenrichtung, die auf den Reiter einwirken. Pro Minute werden bei einem Großpferd ca. 110 derartige Schwingungsimpulse übertragen, die vom Körper des Reiters aufgenommen, verarbeitet und durch Haltungsanpassungen beantwortet werden müssen. Diesen Effekt würde man auch erhalten, wenn man den Bewegungsimpulsen eines Reitsimulators ausgesetzt wäre.

Beim Lebewesen „Therapiepferd“ kommen zu den rhythmischen, gleichmäßigen Bewegungsimpulsen feinste Abweichungen, die stets eine minimal veränderte Bewegungsantwort des Reiters einfordern und neuronal gebahnt werden müssen. Pferd und Reiter treten zudem in einen „Bewegungsdialog“, bei dem das gut trainierte Pferd immer wieder versucht, seinen Reiter „ins Gleichgewicht zu setzen“, ihn einzuschwingen und auszubalancieren. Der Bewegungsdialog des Reiters mit dem Pferd ermöglicht ein motorisches Lernen komplexer, funktioneller Bewegungsabläufe, die bei Kindern mit neuromotorischer Unreife unter Umständen noch nicht vollständig im Zentralen Nervensystem abgebildet sind.

Ein Kind mit Restreaktionen eines ATNR und einer damit verbundenen mangelnden bilateralen Integration profitiert möglicherweise von Bewegungsimpulsen des Pferdes, welche flüssig die Mittellinie überkreuzen und stets aktiv vom neuromotorischen, lernenden System des Kindes beantwortet werden müssen.

Aus vestibulärer Sicht werden die Gleichgewichtsorgane bereits bei einer gleichförmigen Schrittbewegung in allen drei Dimensionen stimuliert. Bezieht man Änderungen im Tempo (langsamer Schritt / schneller Schritt / Anhalten) und in der Richtung (Reiten von großen und kleinen Kreislinien / Wendungen) mit ein, so nutzt man die entstehenden Beschleunigungs-, Brems und Fliehkräfte für eine vielfältige vestibuläre Stimulation.

Kinder mit neuromotorischer Unreife, die vestibulär unsicher sind, wie es beispielsweise bei Kindern mit Restreaktionen eines Moro Reflexes der Fall ist, profitieren davon, dass die Bewegungsreize sich nicht im ohnehin schon unsicheren Stand, sondern im Sitzen mit einer vergrößerten Auflagefläche (Gesäß und Oberschenkelinnenseiten) vollziehen, da sich dadurch ein größeres Sicherheitsgefühl ergibt. Bildlich gesprochen bekommen die Kinder einen stabileren Referenzpunkt für ihr „dreidimensionalen Koordinatensystems auf unsicherer vestibulär propriozeptiver Basis“ in Form einer großen, stabilen Masse des Pferdes unter sich, das sich dennoch dynamisch durch den Raum bewegt und vestibulär propriozeptive Impulse setzt.

Aus propriozeptiver Sicht kann bei hyper- oder hypotonen Kindern die Stimulation der Pferdebewegung und die dadurch erfolgende Aktivierung der Rumpf und Beinmuskulatur eine Normalisierung des Tonus zur Folge haben. Generell kann durch die permanente rhythmische Bewegung und damit wechselnde An- und Entspannung verschiedener Muskelpartien die gesamte Rumpfmuskulatur gestärkt werden, so dass sie bei Kindern mit neuromotorischer Unreife zunehmend als stabile Stützbasis zur Verfügung steht.

 

Posturale Reaktionen

Posturale Reaktionen entwickeln sich beim Säugling nachgeburtlich bis ins Alter von dreieinhalb Jahren hinein. Sie sollen ihn befähigen, seinen Körper entgegen der Schwerkraft aufrecht zu halten und diese Aufrichtung nach einer Störung des Gleichgewichts flexibel wieder herzustellen. In verschiedenen Stadien, in denen das Kind Teile der evolutionären Entwicklung nachvollzieht, gelangt es vom Kriechen (aped) über das Krabbeln (quadruped) in den aufrechten Stand und das freie Gehen (biped).

In jeder dieser Phasen muss sich das Kind in der jeweiligen Haltung neu an die Schwerkraft anpassen. Durch vielfältige Bewegungserfahrungen und Feedback aus seiner Umwelt werden neurologische Bahnen zwischen niedrigeren und höheren Zentren des Gehirns gebildet und primitive Reflexe gehemmt, so dass posturale Reaktionen eine stabile Basis für Willkürmotorik bieten. Die Entwicklung der Haltungskontrolle erfolgt nach Goddard Blythe „zephalokaudal (von Kopf bis Fuß) und proximal distal (von der Mitte nach außen), obwohl nach den ersten Lebenswochen die Entwicklung der Haltung und der koordinierten Bewegung auch vom kaudalen Ende aus (von unten nach oben) voranschreitet. Die Integration erfolgt über den Rumpf gegen Mitte des ersten Lebensjahres.“

Bei Kindern mit neuromotorischer Unreife, die zu uns in die Reittherapie kommen, ist häufig die zephalokaudale und proximal distale Reifung noch nicht abgeschlossen, so dass entweder die Füße, häufig aber auch die Rumpfmuskulatur noch nicht vollständig in die Haltungskontrolle einbezogen und auf der „Körperlandkarte“ des Kindes nur unzureichend abgebildet sind. Die Rumpfmuskulatur übernimmt noch keine adäquate Stützfunktion, was wiederum auf Kosten der Aufrichtung der Wirbelsäule und des Kopfes gegen die Schwerkraft geht. Das Rumpftraining durch die dreidimensionale Bewegungsübertragung kann sich hier in fördernder Weise auf den Einbezug des Rumpfes in eine gute Haltungskontrolle auswirken.

Auch die Entwicklungsstufen aped, quadruped und biped haben Kinder mit neuromotorischer Unreife häufig nicht abschließend durchlaufen, auch wenn sich ein Kind im Alltag bereits auf zwei Beinen fortbewegt. Besonders bei Kindern mit Restreaktionen eines ATNR ist häufig die Phase des Krabbeln (quadruped) ausgefallen bzw. verkürzt durchlaufen worden. Wichtige Erfahrungen mit posturalen Reaktionen in der quadrupeden, dynamischen Fortbewegung sind nicht oder nur unzureichend erfolgt, was sich negativ auf das statische und dynamische Gleichgewicht sowie in damit verbundenen Systemen wie beispielsweise der visuellen Wahrnehmung auswirken kann.

Es wäre interessant zu beobachten, ob der Bewegungsdialog mit einem quadrupeden Lebewesen solchen Kindern eine „Nachreifung“ und damit verbunden eine Entwicklung von posturalen Reaktionen ermöglichen könnte. Hierzu ist noch anzumerken, dass der Schritt des Pferdes keine rein diagonale Bewegung wie das menschliche Krabbeln ist, sondern sich Dreibein und Zweibeinstütz miteinander abwechseln. Dennoch werden im Reiter diagonale, spiralförmige Bewegungen hervorgerufen, die denen des menschlichen Krabbelns ähneln.

Eine 2019 veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass Reiten helfen könnte, posturale Kontrolle zu verbessern. Sowohl propriozeptive Fähigkeiten bezüglich des statischen Gleichgewichts als auch der Tonus der posturalen Muskulatur während dynamischer Gleichgewichtsaufgaben waren bei fortgeschrittenen Reiterinnen besser entwickelt als bei Nicht-Reiterinnen. Allerdings weist Goddard Blythe darauf hin, dass motorische Trainingsprogramme, die auf eine Verbesserung der posturalen Reaktionen abzielen nur dann positive Ergebnisse aufweisen, wenn nur wenig oder keine Anzeichen einer primitiven Reflexaktivität vorliegen.

 

Beeinflussung des Zentralen Nervensystems

Japanische Forscher kamen 2019 zu dem Ergebnis, dass „Vibrationen“ [hier verstanden als Bewegungsimpulse], die vom Pferd auf den Reiter übertragen werden, das sympathische Nervensystem aktivieren, was sich positiv auf kognitive Faktoren und das Lernen auswirkt (konkret in der Studie untersucht wurde die Fähigkeit, adäquat auf Stimuli in Form einer Go/No-go-Aufgabe zu reagieren). Teil der Studie waren drei erfahrende Therapiepferde, von denen Pferd A und C eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems der im Schritt reitenden Kinder erzielten, woraufhin die Kinder in den kognitiven Tests signifikant besser abschnitten. Bei Kindern, die der Bewegungsübertragung von Pferd B ausgesetzt waren, wurde hingegen eine Aktivierung des parasympathischen Nervensystems festgestellt und keine signifikant bessere kognitive Leistung als die Kinder der Vergleichsgruppen. Der Unterschied beim Pferd B im Vergleich zu Pferd A und C bestand in der Bewegung der „Z-Achse“, so dass die Auf-ab-Bewegungen im Gegensatz zur Rechts-Links-Bewegungen und Vor-Zurück-Bewegungen verstärkt waren.

Interessant hierbei ist, dass die dreidimensionale Bewegungsübertragung vom Pferd auf den Reiter in der Lage ist, sich je nach Qualität der Bewegungen im Raum unterschiedlich auf das Zentrale Nervensystem auszuwirken. Die gezielte Auswahl eines Therapiepferdes für Kinder mit neuromotorischer Unreife im Hinblick auf seine dreidimensionale Bewegungsqualität eröffnet neue Möglichkeiten einer aktivierenden oder regulierenden Einflussnahme auf das ZNS. Bei dem in der Studie beschriebenen Pferd B, welches den Parasympathikus aktivierte, handelte es sich um einen so genannten Kiso, eine japanische Kleinpferderasse aus dem Kiso Valley. In der Publikation heißt es dazu: „The healing effects of riding Kiso horses are legendary in Japan.“

Weitere Wirkfaktoren

Kinder mit neuromotorischer Unreife zeigen häufig visuelle und / oder auditive Wahrnehmungsauffälligkeiten und werden in diesen Bereichen speziell gefördert. Das Umfeld der Reittherapie bietet aber auch darüber hinaus multisensorische Erfahrungen:

Auf taktiler Ebene erfahren die Kinder sich rhythmisch verändernden Druck und Gegendruck im direkten Kontaktbereich Pferd Reiter. Beim Reiten auf dem blanken Pferderücken wird zudem die Wärme des Pferdes spürbar, da die Körpertemperatur von Pferden ein Grad höher ist als die von Menschen. Über das Berühren und Streicheln der Pferde lassen sich unterschiedliche taktile Eindrücke über Wärme und Textur von Fell und Mähne, von weichen und harten Stellen am Pferdekörper erzielen.

Der olfaktorische Sinn wird durch den spezifischen Geruch der Pferde und des Umfelds der Pferde (Heu, Gras, Pferdemist, …) stimuliert. Die akustische Wahrnehmung wird durch typische Geräusche rund um die Haltung von Pferden (Schnauben, Geräusche beim Fressen, …) angeregt. Zusätzlich ist je nach Beschaffenheit des Untergrundes der Hufschlag der Pferde im Einklang mit den Bewegungsimpulsen wahrnehmbar und lässt auf diese Weise den Rhythmus der Bewegungen multisensorisch erfahren.

Der visuelle Sinn ist über den vestibulookulären Reflexbogen eng mit dem Gleichgewicht verknüpft und liefert bei Kindern mit neuromotorischer Unreife häufig inkongruente Informationen. In unserer heutigen Gesellschaft ist ein gut ausgebildeter visueller Sinn allerdings von zentraler Bedeutung. Angefangen vom Erlernen von Kulturtechniken bis hin zur Nutzung digitaler Medien werden heute von Kindern schon im Vorschulalter komplexe visuelle Leistungen verlangt. Goddard Blythe schreibt allerdings dazu: „Nichts, was man sieht, wird allein durch den Sehsinn verstanden.“. Erst durch unsere vielfältigen, jahrelangen und multisensorischen Erfahrungen (allen voran Bewegungen und Berührungen) erleben wir Erwachsenen heute das, was wir unter „Sehen“ verstehen. In einer stark visuell geprägten Umwelt kann das Setting der Reittherapie genutzt werden, um Kindern vielfältige, originale sensorische Erfahrungen zu ermöglichen.

Betrachtet man die Tabelle von Klüwer „Der Einfluss des Pferdes im Therapeutischen Reiten und im Sport“ fällt auf, dass der neuromotorische Einfluss (neurale Bahnung durch Bewegungsfluss) und der sensomotorische Einfluss (Bio Feedback durch antwortendes Verhalten) durch den psychomotorischen Einfluss (Prä Gestisches Verstehen durch Bewegungsdialog) und soziomotorischen Einfluss (soziales Lernen durch artspezifisches Verhalten in der Gruppe) gefolgt wird.

Der sozial emotionale Aspekt ergibt sich aus dem Bewegungsdialog mit dem Pferd heraus und über ihn hinaus. Gäng schreibt dazu: „Die Bewegung und die Wärme des Pferdeleibes sprechen wohltuend auf direktem Weg den Gefühlsbereich an. Dadurch, daß sich das Pferd nicht nur seinen Körper anbietet, sondern zusätzlich mit allen seinen Ausdrucksformen wie Körperhaltung, Mimik und Stimmäußerung beteiligt ist, fordert es direkt zur emotionalen und verbalen Kontaktaufnahme und Auseinandersetzung heraus […]“. Auch das Gefühl des „Getragenwerdens ohne eigenes Dazutun“ ist ein zentraler Aspekt der Reittherapie.

Kinder mit neuromotorischer Unreife hatten häufig einen holprigen Start ins Leben. Frühgeburtlichkeit, schwierige Geburtsverläufe, Entwicklungsauffälligkeiten oder Krankheiten in den ersten Lebensmonaten oder Jahren sind Faktoren, die häufig mit einer neuromotorischen Unreife einhergehen. Die Eltern-Kind-Beziehung war oder ist unter Umständen durch die auftretenden Schwierigkeiten belastet. Das Pferd als großes, warmes, lebendiges Wesen mit der Fähigkeit, uns unvoreingenommen anzunehmen und uns auf Grund seiner Stärke und Größe zu tragen, ermöglicht in der Reittherapie häufig das Phänomen des sozial emotionalen „Nachnährens“. Gerade dem flächigen Liegen auf dem warmen Pferderücken kommt hier unter Umständen eine wichtige Rolle zu.

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fazit und ausblick

Durch die dreidimensionale, spezifische Bewegungsübertragung des Pferdes können gangtypische, physiologische Bewegungsmuster vermittelt werden, die auf Grund ihrer rotatorischen Stimulation der Wirbelsäule eine aus neuromotorischer Sicht entwicklungsfördernde Wirkung haben können. Die Grenzen liegen hierbei im fachlichen Wissen der ReittherapeutInnen (ohne physiotherapeutische Grundausbildung) über Bedingungen und Durchführung einer optimalen Bewegungsübertragung.

Durch den Bewegungsdialog mit dem Pferd erfolgt eine kontinuierliche vestibulär propriozeptive Stimulation, die durch minimale Abweichungen im Rhythmus stets aktiv vom Zentralen Nervensystem verarbeitet werden muss und neuronale Bahnen für funktionelle Bewegungsmuster bilden kann. Durch die Aktivierung von Rumpf und Beinmuskulatur lässt sich zudem eine Normalisierung des Tonus erreichen, was für Kinder mit neuromotorischer Unreife vorteilhaft sein kann.

Im Hinblick auf posturale Reaktionen wäre es interessant zu unterscheiden, inwieweit das Pferd nicht nur als Partner für ein „posturales Training“ fungiert (indem es ständige Haltungsanpassungen im wechselseitigen Dialog einfordert), sondern auch seine spezifische Anatomie als quadrupedes Lebewesen zur Verfügung stellen kann, um eine gezielte „Nachreifung“ der Haltungskontrolle über die Stufenfolge aped quadruped biped zu ermöglichen. Grenzen ergeben sich vermutlich bei mittleren bis starken Restreaktionen primitiver Reflexe, die die Entwicklung stabiler posturaler Reaktionen unterbinden.

Je nach ihrem Gangbild im Raum scheinen Pferde auf unterschiedliche Weise das sympathische oder parasympathische Nervensystem stärker zu aktivieren. Im Hinblick auf eine generelle Überaktivierung des sympathischen Nervensystems zum Beispiel bei Kindern mit Restreaktionen eines
Moro Reflexes ergeben sich hier interessante Förderansätze. Grenzen sind hierbei die zeitlichen Möglichkeiten der Reittherapie sowie fehlende Untersuchungen über die Dauer einer anregenden oder beruhigenden Wirkung.

Weitere Wirkfaktoren wie eine vielfältige sensorische Stimulation können Kinder mit neuromotorischer Unreife darin unterstützen, ausgeprägten Schwächen im visuellen System zu kompensieren, indem sie wichtige sensorische Erfahrungen sammeln, auf die sie zu einem späteren Zeitpunkt
zurückgreifen können.

Nicht zuletzt ist das Pferd auf sozial emotionaler Ebene ein mit dem Menschen eng verknüpftes Tier, das Aufforderungscharakter hat, sich als Sozialpartner anbietet und mit uns in Dialog tritt. Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen tiergestützten Therapieformen ist zudem, dass wir auf dem Pferd in der Lage sind, frühe Erfahrung des„Getragenwerdens ohne eigenes Zutun“ zu wiederholen.

– Gäng, Marianne: Heilpädagogisches Reiten. In: Gäng, Marianne (Hrsg.): Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. München 1994.
– Goddard Blythe, Sally. Attention, Balance and Coordination das ABC des Lernerfolgs. Grundlagen der INPP Methode. Bern 2021.
– Goddard Blythe, Sally. Greifen und Begreifen. Wie Lernen und Verhalten mit frühkindlichen Reflexen zusammenhängen. Kirchzarten 2011 9
– Goddard Blythe, Sally. Neuromotorische Unreife bei Kindern und Erwachsenen. Der INPP Screening Test für Ärzte. Bern 2016.
– Goddard Blythe, Sally. Warum ihr Kind Bewegung braucht. Optimale Entwicklung fördern von Anfang an. Kirchzarten 2005.
– Gomolla, Annette (o.J.): Das Pferd in Therapie und Pädagogik. Eigene Schulungsunterlagen.

– Gomolla, Annette: Pferdegestützte Therapie und Förderung. Band 1: Grundlagen reittherapeutischer Interventionen als additive Therapie und Entwicklungsförderung. Konstanz 2020.
– Soehnle, Annette / Lamprecht, Sabine: Hippotherapie. Befunderhebung, Bewegungsanalyse, Therapie. Berlin 2012 2
– Strauß, Ingrid: Hippotherapie. Neurophysiologische Krankengymnastik auf dem Pferd. Stuttgart, 1991.

Internetquellen
– DKThR (o.J.): Pferdegestützte Physiotherapie Hippotherapie (DKThR).
https://www.dkthr.de/therapeutisches-reiten-pferdgestuetzte-therapie-foerderung-und-sport-dkthr/pferdgestuetzte-physiotherapie-hippotherapie-dkthr-dkthr/
(24.04.2023)
– Ohta, Mitsuaki et. al. (2017): Horseback Riding Improves the Ability to Cause the Approprioate Action (Go Reaction) and the Appropriate Self control (No Go Reaction) in Children. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpubh.2017.00008/full
(24.04.2023)
– Ohta, Mitsuaki et. al. (2011): Three-dimensional analysis of horse and human gaits in therapeutic riding. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0168159111003297?via%3Dihub (24.04.2023)

– Olivier, Agnès et. al. (2019): Balance control during stance – A comparison between horseback riding athletes and non-athletes. https://www.researchgate.net/publication/330891094_Balance_control_during_stance_-_A_comparison_between_horseback_riding_athletes_and_non-athletes (24.04.2023)
– Pantel, Tina (2020): 50 Jahre DKThR. https://www.pm-forum-digital.de/project/50-jahre-dkthr-03-2020/ (24.04.2023)

Wichtige Websiten des INPP
www.inpp.org.uk
www.inpp.de
www.inpp.info

Archiv
blogh4h_Praxis_Trauma_Therapeut

Pferde in Traumapädagogischer und therapeutischer Begleitung

Die Reittherapie hat sich in Kombination mit unterschiedlichen Therapieformen bewährt. Sie kann mit ihren Impulsen die Psychotherapie bereichern ebenso wie pädagogische Interventionen. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten solide auf eine Steigerung der Befindlichkeit durch die Reittherapie hin bis hin zur Verringerung depressiver Symptomatik. Insbesondere in den USA wird Pferdegestützte Therapie bei Traumatisierung vermehrt betrachtet und besonders auch bei Soldaten regelmäßig eingesetzt.
 
Besonders schwer zugängliche Klienten können über das Medium Pferd erreicht werden, wenn sie die Interaktion mit dem Pferd als motivierend erleben und der Motivationsträger Pferd genutzt wird. Zudem kann es als nonverbales Verfahren eingesetzt werden und eignet sich daher auch für Menschen mit kognitiver Einschränkung und Kommunikationsschwierigkeiten.
 
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Hinter den Kulissen der Scham

Der Kinderzirkus ist seit 2011 ein allsommerliches Highlight auf unserem Hof, bei dem 15-30 Kinder zusammen mit den Tieren eine Zirkusvorstellung erarbeiten, die im Anschluss vor den Eltern und Freunden aufgeführt wird. Er gibt den Kindern die Möglichkeit, sich in verschiedenen Disziplinen wie Akrobatik, Clownerie und Voltigieren auszuprobieren und dabei sowohl über sich selbst als auch über die Tiere auf dem Hof zu lernen.
 
Das Projekt war ein voller Erfolg. Die Kinder hatten großen Spaß und
bedankten sich im Anschluss für die Erlebnisse, auch bei den Pferden.
Wir laden herzlich dazu ein, unsere Ideen weiterzuentwickeln und auf dem
eigenen Hof umzusetzen. Wer mehr Inspiration und Anleitung möchte, sei
dazu angeregt, einen Blick in das Buch „Kinderzirkus mit Pferden: Ein Leitfaden für Reitpädagogen“ zu werfen: https://www.bod.de/buchshop/kinderzirkus-mit-pferden-9783738679397
 
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pferdegestützte Interventionen bei ADHS

Wir erheben mit diesem Buch und der darin beschriebenen Intervention nicht den Anspruch, dass es die einzig mögliche Weise ist, mit Kindern mit ADHS zu arbeiten.
[…]
Wir möchten selbstverständlich, dass die Fachkräfte dieses Manual als Hilfestellung
verstehen und weiterhin eigenständig entscheiden, wenn bei einem Kind andere Methoden und Inhalte im Vordergrund stehen sollten. Daher richtet sich dieses Manual ausschließlich an ausgebildete Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen mit ihren ausgebildeten Therapiepferden.
 

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Das Gefühl von Zuhause

GREAT nimmt gerne Studierende der Psychologie als Praktikant:innen auf (3-6 Monatspraktikum).

Zudem kann GREAT eine Bundesfreiwilligendienst-Stelle besetzen, dies bitte für Personen, die aus Deutschland kommen, Erfahrung in der Begleitung von Kindern und Jugendlichen mitbringen ebenso wie gute bis sehr gute Pferdeerfahrung.

Maja Fee Eidenmüller ist genau diesen Weg gegangen und hat Ihre Initiativbewerbung bei GREAT eingereicht und …?

Maja: Das war meine zweite Bewerbung und die hat dann geklappt.

Fröhlich lächelnd sitzt Sie mir gegenüber in freudiger Erwartung auf die kommenden Fragen.

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