Synchronisation Mensch - Pferd

Eine systematische Studie

1792 wurde die therapeutische Arbeit mit Tieren das erste Mal dokumentiert (Trivedi & Perl, 1995) und seither erfreut sich diese Therapieform steigender Bekanntheit. Trotz dessen sind bisher noch wenige dieser Maßnahmen durch die Krankenkassen finanziert.

Viele Menschen, denen eine solche Art der Therapie zugutekommen würde, bleiben dadurch von den Möglichkeiten ausgeschlossen. Eine durch die Krankenkasse unterstützte Therapiemaßnahme erschließt sich für finanzielle eingeschränkte Familien deutlich eher als eine tiergestützte Therapiemaßnahme, die von den Kosten selbst zu tragen ist.

 

Wieso braucht es noch Forschung?
ES ist doch bekannt, dass tiergestützte Therapie positive Effekte erzielt.

„Das Problem besteht nicht so sehr darin, zu sehen, was noch niemand gesehen hat,

sondern zu denken, was noch niemand über das gedacht hat, was alle sehen.“

Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Dies bedeutet angewandt auf die Tiergestützte Therapie und Ihre Finanzierung, dass es für diese Problemstellung nicht ausreicht, einzelne Erfahrungsberichte mit positiven Verläufen, an die Krankenkassen zu berichten. Hier bedarf es strukturiert durchgeführter Studien zur Wirksamkeit von Therapiemaßnahmen, um generelle Effekte der tiergestützten Therapie wissenschaftlich zu belegen und eine Finanzierung somit nicht mehr streitbar zu machen.

Einbindung in die therapeutischen Maßnahmen finden neben Hunden, Pferden und Delfinen eine Vielzahl von Tierrassen. Die Forschung am Therapiehof Hegau bezieht sich auf das Pferd als Teil der therapeutischen Einheit und untersucht die Wirksamkeit pferdegestützter Interventionen.

Zu den pferdegestützten Interventionen zählen therapeutische Maßnahmen, wie Hippotherapie, pferdegestützte Psychotherapie oder auch Reitpädagogik. Als additive Therapieformen werden jene Interventionen bei unterschiedlichen Störungsbildern eingesetzt (Gomolla, 2020).

Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen bei unterschiedlichen Störungsbildern, sowie Auswirkungen auf das allgemeine psychische Wohlbefinden, konnte in verschiedenen Studien bewiesen werden (Borgi et al., 2016; Earles et al., 2015; Bivens et al., 2007).

Gibt es Problemstellungen, die sich in der Forschung mit Tieren zeigen?

Allgemein gesprochen bedient sich die Forschung, für die Gewinnung aussagekräftiger und unanfechtbarer Ergebnisse, häufig sterilen Laborbedingungen, um so viele Variablen wie möglich ausschließen zu können. Nur so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit garantiert werden, dass die erzielte Wirkung zur spezifisch ausgeführten Maßnahme zurückzuführen ist.

Bei der Forschung mit Tieren ist ein solches Laborsetting nur schwer herzustellen. Aus diesem Grund werden die Ergebnisse häufig durch weitere Variablen beeinflusst, die nicht im Vorhinein auszuschließen sind.

Als Beispiel sein hier ein Wechsel der Wetterverhältnisse während eines Forschungsablaufs zu nennen oder irritierende Geräusche, die ungeplante Reaktionen beim Tier auslösen und so den Ablauf der Forschung stören.

Am Therapiehof Hegau wird während des Studienablaufs streng darauf geachtet, dass keine weitere Person sich im Umkreis des Studiensettings aufhält. Auf einem gesonderten Reitplatz, wie auch in einer separierten Putzbox wird die Studie durchgeführt, sodass möglichst viele Störungen ausgeschlossen werden können.

Die Wahrung einer solchen Distanz zum Studiensetting bringt weitere Veränderung am regulären Ablauf im täglichen Hofgeschehen mit sich. Therapien können so nur am Nachmittag stattfinden, Stalldienste müssen besonders achtsam oder ebenfalls am Nachmittag erledigt werden und generell herrscht eine ruhigere und konzentriertere Stimmung, da auf äußerste Achtsamkeit und Ruhe geachtet wird.

Des Weiteren zeigt sich ein Problem bei der Repräsentativität. Statistisch betrachtet sieht man eine Studie erst ab einer Stichprobengröße von 30 als repräsentativ an, da sich die Verteilung dieser Zufallsstichprobe erst mit zunehmender Stichprobengröße der in der Statistik notwendigen Normalverteilung annähert (Pospeschill, 2006). Dies bedeutet, dass mit der Untersuchung ab 30 Versuchspersonen, welche zur selben Merkmalskategorie gehören (bspw.: Personen mit PTBS), valide Rückschlüsse auf die Gesamtheit aller Merkmalsträger gezogen werden können.

Versuchspersonen im Bereich der pferdegestützten Therapie zu rekrutieren erweist sich häufig als schwieriger als gedacht, da zusätzliche Restriktionen bei der Therapie mit dem Pferd hinzukommen (Gewichtsbeschränkungen, Anfahrtsaufwand zum Hof, persönliche Voreingenommenheit gegenüber Pferden). Diese Restriktionen verkleinern die Gruppe der zu beobachtenden Merkmalsträger deutlich.

Selbst wenn mehr als 30 Versuchspersonen für die Studie gefunden werden können, bleibt die Belastung der Tiere zu beachten. Ein einzelnes Pferd kann nicht der Belastung von 30 verschiedenen Forschungsdurchläufen mit unterschiedlichen Personen ausgesetzt werden.

Nur wenige Höfe in Deutschland weisen eine so große Anzahl an Pferden auf, dass die Versuchspersonengröße auf deutlich über 30 ansteigen könnte. Selbst wenn die Belastung auf eine große Anzahl Pferde aufzuteilen wäre, bliebe zu diskutieren, ob es möglich ist diese Pferde allein für die Forschung einzusetzen und ob die Pferde eine Therapieausbildung durchlaufen haben.

Am Therapiehof Hegau verteilen sich die Versuchspersonen auf vier trainierte Therapiepferde, sodass die Zahl von 30 Versuchspersonen erreicht werden kann, ohne die Pferde zu überlasten.

Neben der Bezahlung einer jeden Versuchsperson muss kalkuliert werden welcher finanzielle Verlust durch den Ausfall der Therapiepferde bei den eigentlichen Therapien entsteht und ob dieser anderweitig auszugleichen ist. Der finanzielle Aufwand ist also nicht zu unterschätzen.

Am Therapiehof Hegau, dem Forschungsstandort des „German Research Center for Equine Assisted Therapy“ (GREAT), wird in Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz und mit der Unterstützung von UNIFOR „Ann Kern-Godal’s Memorial Fund for Horse-Assisted Therapy“ Forschung zur Wirkung Pferdegestützter Interventionen durchgeführt.

Die erste Forschungsmaxime im Grundsatzpapier der GREAT gUG benennt die „Grundlagenforschung zur Klärung der Mensch-Pferd Intervention“ als eines der zu erforschenden Schwerpunkte und deckt sich so mit den, beim Lehrstuhl für klinische Neuropsychologie eingereichten, Promotionsprojekten zweier Studentinnen der Universität Konstanz (https://www.great-horses.org/forschungscenter/)

Beide Promovierende haben sich in unterschiedlichen Zeiträumen für das Stipendium der UNIFOR Stiftung beworben und eine Förderung für die laufenden Forschungsprojekte erhalten (https://unifor.no/2022/06/09/ann-kern-godals-mermorial-fund-grantees-2022/), wobei GREAT den Forschungsstandort „Therapiehof Hegau“ und die Therapiepferde zur Verfügung stellt.

Ein in Zukunft anstehendes Promotionsprojekt soll vollends durch die Universität Konstanz finanziert werden.

Was wird denn nun untersucht?

Die Studien bedienen sich dem Konstrukt der Synchronisation zwischen Mensch und Tier. Im Speziellen werden bekannte Abläufe im Organismus während der Therapiemaßnahme analysiert und auf Ihre Synchronisation mit einem weiteren, an der Maßnahme teilnehmenden, Organismus untersucht.

Ein bekannter und viel untersuchter biologischer Ablauf im Organismus ist die Herzratenvariabilität (HRV).

Im Normalfall schlägt das Herz eines gesunden Menschen 60- bis 70-mal in der Minute. Die HRV benennt nun nicht diese Summe der Schläge pro Minute, wie es die Herzrate tut, sondern bezieht sich auf die Abstände der einzelnen Herzschläge zueinander.

Beispielsweise wird beim Marathonlauf das Herz schneller schlagen, die Abstände zwischen den Schlägen werden deutlich geringer sein und in gleichen Abständen aufeinander folgen, sodass es als rhythmisch bezeichnet werden könnte. Bei entspannten Situationen auf dem heimischen Sofa schlägt das Herz langsamer, die Abstände zwischen den Schlägen liegen weiter auseinander und sind unregelmäßiger.

Eine niedrige HRV, was wenig Variation in den Abständen der Herzschläge bedeutet, wird mit Belastung assoziiert und hat außerdem einen Einfluss auf die psychische Anpassungsfähigkeit (Kemp & Quintana, 2013).

Belastung, sowohl physischer (Marathon) als auch psychischer Art, hat Einfluss auf die HRV. Studien konnten zeigen, dass betroffene Personen von psychischen Störungen eine niedrige HRV aufweisen (Zucker et al., 2009, Kemp et al., 2010).

Eine hohe HRV, was viel Variation in den Abständen der Herzschläge bedeutet, wird mit Erholung und Entspannung assoziiert (Shaffer & Ginsberg, 2017).

Die Steuerung der Herzfrequenz wird vom Autonomen Nervensystem, bestehend aus dem parasympatischen und dem sympatischen Nervensystem, übernommen. Durch bio-chemische Prozesse wird die Erhöhung und die Reduzierung der Frequenz der Herzschläge bestimmt. (Elias & Saucier, 2014).

Auch wenn die HRV bereits viel beforscht wurde, blieb der Zusammenhang mit pferdegestützter Therapie bisher annähernd unbeachtet. In den Studien am Therapiehof Hegau soll die Synchronisation der HRV zwischen Mensch und Tier während einer pferdegestützten Therapieeinheit untersucht werden.

Synchronisationsprozesse beeinflussen die HRV. Das konnte in mehreren Studien belegt werden (Feldman et al., 2011; Chatel-Goldman et al., 2014).

Auch der Kontakt mit Tieren zeigt eine Veränderung der HRV. Dies konnte beim Kontakt zwischen Mensch und Hund (Motooka et al., 2006) und ebenfalls im Kontakt zwischen Mensch und Pferd (Baldwin et al., 2018) gezeigt werden.

Wie verlief die Studie und wer durfte daran teilnehmen?

Es gab Beschränkungen, sodass nicht jeder Mensch an der Studie teilnehmen konnten. Körperlich gesunde Frauen zwischen 18 und 45 Jahren, die weniger als fünf Zigaretten pro Tag rauchen und kein Cannabis konsumieren, wurden für die Studie gesucht. Pferdeerfahrung war nicht notwendig, allerdings durfte, mit Rücksicht auf die Pferde, ein Maximalgewicht von 80 Kilogramm nicht überschritten werden.

Nach einer ersten Vorauswahl anhand von Fragebögen, wurden 92 Versuchspersonen eingeladen an der Studie teilzunehmen. Aus der Gesamtzahl der Personen wurden zwei Gruppen gebildet.

Die Kontrollgruppe bestand aus 56 psychisch gesunden Versuchspersonen mit einem Altersdurchschnitt von 23,2 Jahren.

36 Versuchspersonen zwischen 19 und 41 Jahren (Mittelwert= 29,7), die sich zum Zeitpunkt der Studie in psychotherapeutischer Behandlung befanden, wurden der Experimentalgruppe zugeordnet.

Alle Teilnehmerinnen wurden zu separaten Terminen an den Therapiehof Hegau, in Rielasingen-Worblingen eingeladen. Jede einzelne Teilnehmerin durchlief dort denselben Versuchsablauf in Begleitung einer Reittherapeutin und einem zugeordneten Pferd, wie die anderen Teilnehmerinnen.

Die Personen der Kontrollgruppe besuchten nur einmalig den Studienort für den Versuchsablauf. Die Teilnehmerinnen der Experimentalgruppe kamen jeweils an vier Tagen zum Studienort, wo immer derselbe Versuchsablauf absolviert wurde.

 

blogh4h_Studien_Synchronisation_Therapiehof

 

Eine Studie zur Messung der HRV im Vergleich der Messinstrumente Herzraten-Monitor und EKG ist hier nachzulesen.

Die HRV selbst ergibt sich erst am Ende jedes Studiendurchgangs, wenn die aufgezeichneten Herzraten über den Verlauf der Therapieeinheit angesehen werden.

Die Herzrate wird sowohl von den Versuchspersonen als auch von den Pferden erhoben. Hierfür werden Herzfrequenzgurte (Polar H7/H10) angelegt. Die Versuchspersonen positionieren den Gurt so, dass der H7 Sensor mittig unterhalb des Brustbeins sitzt.

Der Pferdebrustgurt der Firma Polar, ausgestattet mit einem H10 Sensor, wurde den Pferden unter dem Therapiegurt angelegt.

Während des gesamten Versuchsablaufs konnten so die Herzraten der Versuchenspersonen, wie auch der Pferde gesammelt werden. Mit einer App, die auf mehreren Devices installiert wurde, konnten diese Daten während des Ablaufs den versuchsleitenden Personen angezeigt und für spätere Analysen gespeichert werden.

 

Baldwin, A. L., Rector, B. K., & Alden, A. C. (2018). Effects of a Form of Equine-Facilitated Learning on Heart Rate Variability, Immune Function, and Self-Esteem in Older Adults. People and Animals: The International Journal of Research and Practice, 1(1). https://docs.lib.purdue.edu/paij/vol1/iss1/5

Bivens, A., Leinart, D., Klontz, B., & Klontz, T. (2007). The Effectiveness of Equine-Assisted Experiential Therapy: Results of an Open Clinical Trial. Society & Animals, 15(3), 257–267. https://doi.org/10.1163/156853007X217195

Borgi, M. Loliva, D., Cerino, S., Chiarotti, F., Venerosi, A., Bramini, M., Nonnis, E., Marcelli, M., Vinti, C., De Santis, C., Bisacco, F., Fagerlie, M., Frascarelli, M. & Cirulli, F. (2016). Effectiveness of a Standardized Equine-Assisted Therapy Program for Children with Autism Spectrum Disorder. Journal of Autism and Developmental Disorders, 46(1), 1-9. https://doi.org/10.1007/s10803-015-2530-6

Chatel-Goldman, J., Congedo, M., Jutten, C., & Schwartz, J. L. (2014). Touch increases autonomic coupling between romantic partners. Frontiers in Behavioral Neuroscience, 8, 95. https://doi.org/10.3389/fnbeh.2014.00095

Earles, J. L., Vernon, L. L., & Yetz, J. P. (2015). Equine-assisted therapy for anxiety and posttraumatic stress symptoms. Journal of Traumatic Stress, 28(2), 149–152. https://doi.org/10.1002/jts.21990

Elias, L. J., & Saucier, D. M. (2014). Neuropsychology: Clinical and Experimental Foundations // Clinical and experimental foundations (1st ed.). Pearson Education Limited; Pearson Education.

Feldman, R., Magori-Cohen, R., Galili, G., Singer, M., & Louzoun, Y. (2011). Mother and infant coordinate heart rhythms through episodes of interaction synchrony. Infant Behavior & Development, 34(4), 569–577. https://doi.org/10.1016/j.infbeh.2011.06.008

Gomolla, A. (2020). Pferdegestützte Therapie und Förderung: Band 1: Grundlagen reittherapeutischer Interventionen als additive Therapie und Entwicklungsförderung. Books on Demand.

Kemp, A. H., Quintana, D. S., Gray, M. A., Felmingham, K. L., Brown, K., & Gatt, J. M. (2010). Impact of depression and antidepressant treatment on heart rate variability: A review and meta-analysis. Biological Psychiatry, 67(11), 1067–1074. https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2009.12.012

Kemp, A. H., & Quintana, D. S. (2013). The relationship between mental and physical health: Insights from the study of heart rate variability. International Journal of Psychophysiology: Official Journal of the International Organization of Psychophysiology, 89(3), 288–296. https://doi.org/10.1016/j.ijpsycho.2013.06.018

Motooka, M., Koike, H., Yokoyama, T., & Kennedy, N. L. (2006). Effect of dog-walking on autonomic nervous activity in senior citizens. The Medical Journal of Australia, 184(2), 60–63. https://doi.org/10.5694/j.1326-5377.2006.tb00116.x

Pospeschill, M. (2006). Statistische Methoden. Heidelberg: Elsevier

Shaffer, F., & Ginsberg, J. P. (2017). An Overview of Heart Rate Variability Metrics and Norms. Frontiers in Public Health, 5, 258. https://doi.org/10.3389/fpubh.2017.00258

Trivedi, L., & Perl, J. (1995). Animal facilitated counseling in the elementary school: a literature review and practical considerations. Sage, 29(3), 223–234.

Zucker, T. L., Samuelson, K. W., Muench, F., Greenberg, M. A., & Gevirtz, R. N. (2009). The effects of respiratory sinus arrhythmia biofeedback on heart rate variability and posttraumatic stress disorder symptoms: A pilot study. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 34(2), 135–143. https://doi.org/10.1007/s10484-009-9085-2