Im Tierreich, wie auch in der Welt der Menschen, ist die Verbindung von Mutter und Kind eine besondere und für die Zukunft des Zöglings ausschlaggebende Beziehung.
Bei Säugetieren, die in Sozialverbänden leben, konnten Studien schon früh eine Synchronisation zwischen Eltern und Kindern feststellen und durch eben jene Synchronisation die Bedeutung für Entwicklungen der Kinder hervorheben. Viele biologische Prozesse in jungen Säugetieren werden im frühen sozialen Kontakt mit der Mutter beeinflusst, da sich die physiologischen Systeme der Kinder, denen der Mütter anpassen (Champagne, 2008; Hofer & Shair, 1982).
Tierstudien betrachteten die Synchronisation während Phasen des Körperkontakts der Mutter oder während einer für die Tierart spezifischen Verhaltensweise (bspw. säubern des Fells durch Ablecken). Eine Änderung der Physiologie der Kinder durch den sozialen Kontakt mit dem Elterntier konnte festgestellt werden (Dettling et al., 2007; Hofer, 1971).
Auch wenn sozialer Kontakt beim Menschen, anders als im Tierreich, manchmal lediglich der Sozialität dient und ohne physischen Kontakt
auskommt, konnten durch Studien am Menschen Gemeinsamkeiten zwischen mütterlichen und kindlichen autonomen Reaktionen beschrieben werden (Feldman et al., 2010). Veränderungen in biologischen Prozessen in Moment-zu-Moment Situation wurde allerdings noch nicht erforscht.
Feldman et al. versuchen in ihrer Studie von 2011 zu beweisen „[…] ob ‚face-to-face‘ Interaktionen zu einer biologischen Synchronisation zwischen mütterlichem und kindlichem Herzrhythmus führt. […].“
Außerdem betrachten die Forschenden neben der Synchronisation der Herzrhythmen auch ob Synchronität in Mimik, Sprache und Affekt die biologische Synchronität, repräsentiert durch den Herzrhythmus, beeinflusst.
Hypothese: „Mutter–Kind Interaktions-Synchronisation stellt einen Mechanismus bereit, welcher fortlaufend die Physiologie des Kindes durch den sozialen Kontext reguliert.“ Dies bedeutet im Klartext, dass der soziale Kontext (Mimik, Sprache, Affekt) die Physiologie des Kindes beeinflusst, wenn eine kurzzeitige „face-to-face“ Interaktion zwischen Mutter und Kind initiiert wurde.
Im Folgenden soll auf die Synchronisation zwischen mütterlichem und kindlichem Herzrhythmus eingegangen werden.
– Führt eine Interaktion zwischen Mutter und Kind von Angesicht zu Angesicht zu einer physiologischen Veränderung, zu einer Synchronisation der Herzrhythmen? –
Für die Studie wurden 15 gesunde Mädchen und 25 gesunde Jungen im Alter von drei Monaten (Mittelwert = 13.92 Wochen) und Ihre Mütter ausgewählt.
Die Mütter waren ausschließlich Israelisch-jüdischer Ethnizität, über 21 Jahre alt (Mittelwert = 28.9 Jahre), verheiratet oder befanden sich in einer Lebenspartnerschaft und hatten mindestens einen High-School Abschluss. Des Weiteren wurden die Mütter auf Ihre psychische Gesundheit im Hinblick auf Angst und Depression getestet.
Drei Einweg-Elektroden zur Aufnahme von Elektrokardiogramm Signalen wurden auf der Haut der Proband*innen platziert. Ein tragbarer EKG-Monitor (12bit, 1000 samples/second/channel, 3992/6 – IBI BioLog© System, UFI, Morro Bay, CA), zeichnete die Signale während der Interaktion auf und wandelte die EKG-Signale in „Inter-Beat-Intervals“ (IBI) um.
An den Wänden jeweils gegenüber der Proband*innen wurden Kameras installiert, sodass die Interaktion von Mutter und Kind aufgezeichnet werden konnte.
Mutter und Kind wurden morgens in das Labor bestellt. Das Kind musste gefüttert und ausgeruht sein und wurde gegenüber der Mutter in einem Kinderstuhl platziert, sodass beide sich sehen konnten und in Reichweite der jeweils anderen Person waren. Beiden Proband*innen wurden Elektroden am Körper befestigt, sodass eine Aufzeichnung der Herzrate mittels EKG durchgängig möglich war. Nach einer kurzen Zeit der Gewöhnung an die Elektroden (ca. 2min), wurde die Mutter angewiesen drei Minuten mit dem Kind frei zu interagieren/ zu spielen.
Als R-Peak (zu Deutsch: R Zacke) bezeichnet man den markantesten positiven Ausschlag in einer EKG-Aufzeichnung eines Herzschlages. Ein über einen längeren Zeitraum gemessenes EKG weist demnach viele R-Peaks auf. Die Zeiten zwischen den R-Peaks werden IBI (Inter-Beat-Intervals) genannt und deren Variabilität wird als HRV bezeichnet.
Aus der Aufzeichnung des EKGs ergaben sich zeitlich geordnete IBI-Werte Folgen. Mittels Zeitreihenanalysen (https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitreihenanalyse) konnten Kreuzkorrelationen (https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzkorrelation) zwischen den IBI-Werten der Mütter und der IBI-Werten der Kinder errechnet werden (unter Berücksichtigung des ARIMA Modelling*).
Jede einzelne Mutter-Kind Kreuzkorrelation wurde mit einem zweiseitigen t-Test darauf getestet, ob die ermittelten Werte signifikant von der Null-Hypothese (keinerlei Veränderung in biologischen Prozessen) abweichen.
Um zu beweisen, dass die Herzrhythmus Synchronität zwischen Müttern und den eigenen Kindern signifikant größer war als der Zufall, wurde die Kreuzkorrelations-Verteilung zwischen Müttern und eigenen Kindern mit einer Kreuzkorrelations-Verteilung verglichen, die aus den Werten von Müttern und fremden Kindern berechnet wurde.
Diese zusätzliche Analyse wurde rein rechnerisch durchgeführt. Es wurden keine Versuchsabläufe mit Müttern und fremden Kindern durchgeführt.
Die Verteilung der Kreuzkorrelations-Koeffizienten der Mutter-Kind Kreuzkorrelationsanalyse (Fig. 1, dunkle Linie) zeigt positive und signifikante (t = 4.92, p < .002) Ergebnisse. Verglichen wurde diese Verteilung mit der Verteilung von Kreuzkorrelations-Koeffizienten der Werte von Müttern und fremden Kindern (graue Linie). Dieser Verglich ergab eine signifikante Unterscheidung (t = 3.84, p < .01).
Allerdings wurde keine konstante Synchronisation über die gesamte Zeit der Interaktionen gefunden. Dies bedeutet das die IBIs, die Intervalle zwischen den R-Zacken nicht immer identisch waren, sondern nur zu bestimmten Punkten der Interaktion synchronisierten.
Es konnte durch diese Ergebnisse gezeigt werden, dass die Null-Hypothese (keine Synchronisation) verworfen werden kann und die in dieser Stichprobe gefundenen Synchronisationen der Herzrhythmen zwischen Müttern und deren Kindern nicht zufällig zustande gekommen sind.
Die Forschenden stellen heraus, dass die Positionierung von Mutter und Kind so ausgerichtet war, dass eine physische Berührung nur marginal möglich war. Aus diesem Grund wurde in der Studie ebenfalls untersucht ob neben physischen Berührungen auch Sprache, Mimik und Affekt eine Auswirkung auf die Synchronisation von biologischen Prozessen hat.
Auch hier konnten Ergebnisse gefunden werden, die bewiesen, dass eine Synchronisation bei sozialer Interaktion abseits der physischen Berührung erfolgte. Stimme und Affekt Synchronität erhöhten nachweislich die Herzrhythmus Synchronität.
Weiterführende Studien sind notwendig, um zu untersuchen ob sozialer Kontakt ebenfalls biologische Prozesse, wie Hormon-Ausschüttung oder Gehirnaktivität beeinflusst. Des Weiteren sollten sich weiterführende Untersuchungen damit befassen Risikobedingungen herauszustellen unter welchen die bio-behavioralen Entwicklung von Kindern beeinflusst wird.
Champagne, F. A. (2008). Epigenetic mechanisms and the transgenerational effects of maternal care. Frontiers in Neuroendocrinology, 29, 386–397.
Dettling, A. C., Schnell, C. R., Maier, C., Feldon, J., & Pryce, C. R. (2007). Behavioral and physiological effects of an infant-neglect manipulation in a bi-parental, twinning primate: Impact is dependent on familial factors. Psychoneuroendocrinology, 32, 331–349.
Feldman, R., Singer, M., & Zagoory, O. (2010). Touch attenuates infants’ physiological reactivity to stress. Developmental Science, 13, 271–278.
Feldman, R., Magori-Cohen, R., Galili, G., Singer, M., Louzoun, Y. (2011). Mother and infant coordinate heart rhythms through episodes of interaction synchrony. Infant Behavior and Development, 34(3), S. 569-577. https://doi.org/10.1016/j.infbeh.2011.06.008.
Hofer, M. A. (1971). Cardiac rate regulated by nutritional factor in young rats. Science, 172, 1039–1041.
Hofer, M. A., & Shair, H. (1982). Control of sleep-wake states in the infant rat by features of the mother–infant relationship. Developmental Psychobiology, 15, 229–243.
*https://www.youtube.com/watch?v=3UmyHed0iYE