Pilotstudie pferdegestützte Therapie bei Morbus Parkinson

Alexandridis, K., Bittner, H., Straeten, G., Wittschier, R.

Die S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von 2016 empfiehlt neben der medikamentösen Behandlung bewegungstherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung von Motorik und Kognition (A1 + + ).

In diversen Studien wurden die positiven Effekte bewegungstherapeutischer Maßnahmen bei Morbus Parkinson belegt. Pferde übertragen dem menschlichen Gangbild analoge Bewegungsimpulse, und nur sie können sich simultan auf die individuellen Bedürfnisse des Menschen einstellen. Additive positive Effekte der pferdegestützten Bewegungstherapie (Equine-Assisted Therapy, EAT) zu anderen multidisziplinären Therapien sind nachgewiesen.

In Vorbereitung einer Hauptstudie soll die Pilotstudie klären, ob und durch welche Tests statistisch signifikante Änderungen der Symptomatik dokumentiert werden können.

Wie lief die Studie ab?

Neurologische Untersuchungen erfolgten zum Zeitpunkt T0 vor und T1 nach Abschluss der Therapiephase. Primärer Endpunkt der Studie war in der Interventionsgruppe der reguläre Abschluss der Therapiephase bzw. in der Kontrollgruppe der Ablauf von 6–8 Wochen nach Inklusion (T1). Sekundäre Endpunkte waren Abbruch der Therapie aus beliebigen Gründen oder eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands.

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Studienablauf

Die EAT wurde zweimal wöchentlich über je 45 min durchgeführt. Die Therapieeinheit gliederte sich in Einstimmungsphase, Hauptteil und Ausklang.

Die Einstimmungsphase konnte über Begrüßungsrituale, Wahrnehmungsübungen sowie mit pflegerischen und vorbereitenden Handlungen am Pferd gestaltet werden. Der Hauptteil bestand aus der Induktion von Bewegungsimpulsen über geführtes Schrittreiten mit einer Zielbelastungsdauer von 20–30 min. Die Dokumentationsbögen ergaben eine durchschnittliche Zeit von 27 min (SD = 5,3; max. 35; min. 19) auf dem Pferderücken. Im Durchschnitt wurden in dieser Zeitspanne 1794 Schritte (SD = 659; max. 2851; min. 788) über die Bewegung des Pferderückens auf die Patienten und Patientinnen übertragen. Der Ausklang der Therapieeinheit wurde mit Übungen zur Körperwahrnehmung, Dehnfähigkeit und/oder Atemübungen gestaltet. Danach wurde das Pferd gemeinsam zurück in die Stallungen gebracht. Die Therapieeinheit wurde in der Verabschiedung kurz verbal reflektiert.

Versuchspersonen

20 Patienten und Patientinnen im klinischen Stadium 2–4 nach Hoehn und Yahr gemäß neurologischer Vorbefunde inkludiert. Nach Vorliegen des schriftlichen Einverständnisses und der ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung erfolgte die Randomisierung in eine Interventionsgruppe mit 12 Einheiten EAT verteilt auf 6 Wochen sowie eine Kontrollgruppe.

Die Interventionsgruppe (7 m, 3 w) war durchschnittlich 64,8 Jahre alt (SD = 8,8) und die Kontrollgruppe (6 m, 4 w) 69,9 Jahre (SD = 7,9).

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Ein- und Ausschlusskriterien
Ein- und Ausschlusskriterien für die teilnehmenden Patienten und Patientinnen (N=20)

Materialien

Die Datenerfassung erfolgte bezüglich der Haupt- und Nebenergebnisse mittels motorischer Tests, eines psychometrischen Fragebogens sowie der Erfassung der Behandlungsparameter durch einen hierzu eigens erstellten Dokumentationsbogen, in welchem motorische Handlungen in der Pflege des Pferdes, Laufwege des Pferdes, absolute Reitzeit und dabei absolvierte Schritte des Pferdes erfasst wurden.

Bei der quantitativen Messung der Bewegungsübertragung über die Schritte kam ein Pedometer der Firma Omron zum Einsatz.

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Messinstrumente
Messinstrumente

Interferenzstatistisch wurden die mittels der Testbatterie erhobenen Daten mit T-Tests, Mann-Whitney-U-Test und Einfaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) ausgewertet. Effektstärken wurden nach Cohen und Powerberechnungen über Teststärke G * Power Version 3.1 durchgeführt. Für alle Berechnungen wurde das Software-Programm JASP Team 2020 genutzt.

Welche ergebnisse konnte Die DatenAnalyse aufzeigen?

Beide Gruppen zeigen eine Verringerung des Gesamtscores der MDS-UPDRS (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale der Movement Disorder Society) im Prä-Post-Test-Vergleich, wobei sich die Interventionsgruppe im Mittel stärker verbesserte (M = -26,8) als die Kontrollgruppe (M = -4,25).

Die Differenzen zeigen im Mann-Whitney-U-Test einen hochsignifikanten Unterschied (U = 37; p = 0,004). Mit einer Effektgröße von r = 0,83 liegt nach Cohen ein starker Effekt vor.

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_PräPost Gesamtscore
Prä-Post-Test-Vergleich des MDS-UPDRS-Gesamtscores

  Für „Globale Spontaneität der Bewegungen“ konnte in der Kontrollgruppe im Mittel eine Verschlechterung der Symptomatik dokumentiert werden

   Für „Gangbild und Körperhaltung“ zeigt die Interventionsgruppe im Mittel eine signifikant deutlichere Verbesserung (M = -1,8; SD = 1,48) der Symptomatik als die Kontrollgruppe (M = 1,1; SD = 1,23)

Die weiteren Subskalen ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, weisen jedoch bei den Subskalen „Sprache und Gesichtsausdruck“ (p = 0,07) und „Rigor“ (p = 0,07) eine Tendenz zur Signifikanz auf. Eine Verschlechterung konnte in der Interventionsgruppe bei keiner der Subskalen der MDUPDRS beobachtet werden.

Die Stadieneinteilung nach Martínez-Martín abgeleitet aus der MDS-UPDRS-Auswertung ergab nach 6 Wochen Untersuchungszeitraum für die Interventionsgruppe von T0 zu T1 eine Verschiebung zu niedrigeren Schweregraden und für die Kontrollgruppe eine Verschiebung zu höheren Schweregraden.

Die weiteren motorischen Tests ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, wiesen jedoch teils deutlich positive Trends für die Interventionsgruppe auf.

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Stadieneinteilung Interventionsgruppe
Stadieneinteilung der Interventionsgruppe nach Martinez-Martin
blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Stadieneinteilung Kontrollgruppe
Stadieneinteilung der Kontrollgruppe nach Martinez-Martin

konnte die Forschungsfrage beantwortet werden?

Im Hinblick auf die Hauptstudie wurden für die nichtsignifikanten Subskalen des MDS-UPDRS und die weiteren Messparameter der motorischen Tests, die eine Tendenz zur Signifikanz zeigten (p < 0,1), Powerberechnungen durchgeführt. Sie ermöglichen es zu prognostizieren, ab welcher Stichprobengröße statistisch signifikante Unterschiede zu erwarten sind.

blogh4h_Forschung_EAT Morbus Parkinson_Testpower
Powerberechnung für bei N=20 nicht signifikante Messparameter

Durch die vorliegende Pilotstudie konnte trotz der niedrigen Patienten-und Patientinnenzahl die Wirksamkeit einer pferdegestützten Therapie bei IPS belegt werden. Gleichzeitig gelang es, die Aussagekraft diverser Messverfahren für den Wirksamkeitsnachweis von EAT zu beurteilen.

Hochsignifikante Verbesserungen wurden insbesondere im MDS-UPDRS-Gesamtscore gefunden. Messungen mit der Kraftmessplatte erscheinen von untergeordneter Aussagekraft. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Untersuchungen von Berardi et al..

Durch die Pilotstudie konnten die Rahmenbedingungen für die zeitnah geplante Hauptstudie geschaffen werden. Das hierfür vorgesehene Design ist prospektiv, kontrolliert, randomisiert, verblindet sowie multizentrisch und umfasst eine Stichprobe von 100 Patienten und Patientinnen. Ziel ist es, das effektive Therapieverfahren EAT möglichst vielen Patienten und Patientinnen mit IPS zugänglich machen zu können.

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