Zur verhaltensändernden Wirkung von Pferden und Hunden in der Therapie bei ADhs

Anna Katharina Alexandridis, Insa Knust, Jana Magiera und Rachel Wittschier (2023)

Pferden wird aufgrund ihrer Natur als große, starke Fluchttiere, die eine ruhige und langsame nonverbale Kommunikation benötigen, eine therapeutische Wirkung zugeschrieben.

Kann der Einsatz von Pferden im Therapiesetting zu besseren Verhaltensschemata führen und eine größere therapeutische Wirkung haben, auch ohne die Einbeziehung von Reiten?

Die Akzeptanz und Wertschätzung tiergestützter Settings für von ADHS betroffene Kinder und Jugendlichen zeigt sich in den wachsenden Angeboten sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Pferde und Hunde werden immer häufiger für die gezielte Förderung von Kompetenzen in der Behandlung von ADHS von verschiedenen Berufsgruppen eingesetzt.

Zum Nutzen von Pferden und Hunden in der ADHS-Therapie gibt es eine Studienlage, die die Effekte des Einsatzes beider Spezies in verschiedenen Interventionsformen (Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie, Ergotherapie, Heilpädagogik u. a.) untersucht (Beetz u. Saumweber, 2014; Breitenbach, Gomolla, Wachter, 2023; Gomolla u. Ringleb, 2023; Helmer, Wechsler, Gilboa, 2021).

Forschungsfragen

  • Lässt sich das störungsspezifische Verhalten durch die Hinzunahme eines Pferdes oder eines Hundes in einer Therapieeinheit mit gleichen Inhalten und Methoden reduzieren?
  • Lässt sich die Hyperaktivität durch die Hinzunahme eines Pferdes oder eines Hundes in einer Therapieeinheit mit gleichen Inhalten und Methoden reduzieren?
  • Ist eine der beiden eingesetzten Spezies im tiergestützten Setting der anderen überlegen?
  • Handelt es sich bei den beobachtbaren Veränderungen um Effekte, die auch durch die Hinzunahme eines zusätzlichen Menschen (neben der Therapeut:in) herbeigeführt werden könnten?

Wie lief die Studie ab?

Experiment 1

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Studiendesign des Experimentes I (VP = Versuchsperson)

Neun Versuchspersonen (6 männlich, 3 weiblich).

Einschlusskriterien:

  • psychiatrisch gesicherte ADHS- (n = 5) oder ADS-Diagnose (n = 4)
  • Alter zwischen 8 und 14 Jahren
  • Mindestaufenthaltsdauer im stationären Setting von 6 Wochen
  • angstfreie Begegnung mit Pferden möglich
  • sowie durchschnittliche motorische Fähigkeiten vorhanden

Experiment 2

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Studiendesign des Experimentes II (VP = Versuchsperson)

Vier Versuchspersonen (männlich) aus einer einmal wöchentlich über 60 Minuten stattfindenden ambulanten hundegestützten Therapie der Deutschen Sporthochschule Köln für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten.

Einschlusskriterien:

  • psychiatrisch gesicherte ADHS- (n = 3) oder ADS-Diagnose (n = 1)
  • Alter zwischen 7 und 11 Jahren
  • Teilnahme an min. drei vorausgegangen TE in der ambulanten Gruppe
  • angstfreie Begegnung mit Pferden und Hunden möglich
  • durchschnittliche motorische Fähigkeiten

Verlaufsstruktur der Therapieeinheiten

Die eingesetzten Tiere (Haflinger und Labrador) waren speziell ausgebildete Therapietiere, die Aufgrund Ihres Exterieurs und Interieurs für den Einsatz bei ADHS geeignet sind und sowohl stationär als auch ambulant im Einsatz bereits erfahren waren.

Störungsspezifisches Verhalten wurde als abhängige Variable über die Conners Skalen erfasst (Conners 3rd Edition® von C. Keith Conners). Für das Rating mittels der Conners Skalen wurden in Experiment I die beiden Therapieeinheiten jeweils auf Video von einer dritten Person aufgezeichnet. Das Rating in Experiment II geschah live.

Hyperaktivität wurde durch Bewegungsmessungen mittels Akzelerometrie erfasst (Akzelerometer Modell GT3X+ der Marke ActiGraph).

Akzelerometrie ist die Messung von Beschleunigungen, um genaue Bewegungsanalysen durchzuführen. Diese Methode ermöglicht die Erfassung von Bewegungsmustern und Körperlagen, wie Sitzen, Stehen, Gehen, und sogar spezifischen Bewegungen wie Finger- und Armbewegungen. Akzelerometrie wird in verschiedenen Anwendungsgebieten wie der Psychologie, Rehabilitation von Patienten mit Körperhaltungsstörungen und Motorik sowie in Studien über Bewegungsaktivität und Gesundheit eingesetzt.

Ziel des bewegungsorientierten Verhaltenstrainings war eine Verbesserung der Selbstregulationskompetenzen und die Vermittlung von Strategien zur Reaktionsverzögerung sowie das Einüben dieser. Alle TE waren in Ihrer Verlaufsstruktur, Inhalten, Methoden und Techniken identisch. Inhaltlich wurden Bewegungs- und Reaktionsspiele sowie Achtsamkeitsübungen angeleitet und mit den Teilnehmenden in Reflexionsgesprächen besprochen.

 

Tiergestützte Therapieeinheit

Therapieeinheit mit zusätzlichem Menschen

Begrüßung (5 min)

Gruppe, Therapeutin, Tier

Gruppe, Therapeutin, Sportstudent

Einstimmung (10 min)

Spiel mit Wechsel von Aktivierung und Deaktivierung unter Einbeziehung des Tieres

Spiel mit Wechsel von Aktivierung und Deaktivierung unter Einbeziehung des Sportstudenten

Hauptteil (30 min)

Hindernisparcours für Teilnehmende und Tier, Reflexion

Hindernisparcours für Teilnehmende und Sportstudent, Reflexion

Ausklang (10 min)

Wahrnehmungs- und Kooperationsspiel mit Tier, Reflexion

Wahrnehmungs- und Kooperationsspiel mit Sportstudent, Reflexion

Verabschiedung (5 min)

Gruppe, Therapeutin, Tier

Gruppe, Therapeutin, Sportstudent

Alle Kinder stehen auf einer Linie. Ein Kind wirft einen Ball möglichst hoch in die Luft. Der Wettlauf beginnt erst dann, wenn der geworfene Ball den Boden berührt. In den Bedingungen mit den Tieren wurden diese jeweils von einem Kind geführt.

Die Videoaufzeichnungen aus Experiment I wurden von geschultem Fachpersonal (zwei Sozialpädagoginnen, die nicht an der Durchführung der TE beteiligt waren) anhand der Conners Skalen ausgewertet. Die Daten der Conners Skalen wurden mit Hilfe eines Auswertungsgitters zu Skalenwerten addiert.

Die Ausprägung des störungsspezifischen Verhaltens wurde anhand des Gesamtscores beurteilt:

0 = „überhaupt nicht“ (nie/selten); 10 = „nur ein wenig“ (manchmal); 20 = „ziemlich genau“ (häufig); 30 = „ganz genau“ (sehr häufig).

Zur Ergebnisdarstellung der Akzelerometrie wurde die Aktivität von 0-149 Counts per Minute (CPM) als sitzende, 150-499 CPM als leichte, 500-3999 CPM als moderate, 4000-7599 CPM als lebhafte und über 7600 CPM als sehr lebhafte Aktivität definiert.

Die 60 Minuten einer Einheit entsprachen 100 % Bewegungszeit. Es wurde geschaut, wie viel Prozent dieser Bewegungszeit den fünf Kategorien (sitzend, leicht, moderat, lebhaft, sehr lebhaft) zugeordnet werden konnten. Für die Ergebnisdarstellung wurden die Kategorien „sitzend“ und „leicht“ als „ruhige Aktivität“ zusammengefasst. Für die drei Kategorien „moderat“, „lebhaft“ und „sehr lebhaft“ wurde die in der englischsprachigen Literatur übliche Abkürzung MVPA (moderate to vigorous physical activities) übernommen.

Die deskriptive Statistik und Darstellung der Ergebnisse der Connor Skalen und der Akzelerometrie erfolgte durch das Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel.

Die Inferenzstatistik erfolgte mittels des Programms IBM SPSS Statistics 26. Bezüglich der Conners Skalen wurden die Gesamtwerte verglichen.

Die Akzelometrie Daten wurden in Experiment I für die Teilstichprobe der von ADHS Betroffenen (n = 5) ausgewertet.

Welche ergebnisse konnte Die DatenAnalyse aufzeigen?

Experiment 1

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Körperliche Aktivitäten, Experiment I (n = 5); sitzend, leicht, moderat, lebhaft, sehr lebhaft

In den pferdegestützten TE wird prozentual betrachtet mehr Zeit in sitzender, leichter und moderater Aktivität verbracht als in der TE mit dem Sportstudenten.

Bezüglich der Conners Skalen zeigt ein Vergleich der pferdegestützten TE mit der TE in Anwesenheit eines zusätzlichen Menschen eine geringere ADHS-Symptomatik im pferdegestützten Setting.

Experiment 2

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Vergleich des Symptomverhaltens von TE/Pferd, TE/Mensch, TE/Hund (n = 4). Summenwerte Conners-Skalen (0 = unauffällig, 30 = sehr auffällig)

Die Ergebnisse zeigten, dass pferdegestützte Therapie das Störungsspezifische Verhalten (gemessen anhand der Conner’s Skalen) reduziert und die körperliche Aktivität in der pferdegestützten Umgebung geringer war als in den von Menschen oder Hunden unterstützten Umgebungen.

konnte die Forschungsfrage beantwortet werden?

Der Einsatz von Pferden in Therapiesitzungen zeigte einen signifikanten Nutzen in Bezug auf die Symptomreduktion, allerdings sind weitere Studien erforderlich, um festzustellen, ob dies zu einer dauerhaften therapeutischen Wirkung führen kann.

Die Ergebnisse des Experiments II weisen Pferden gegenüber Hunden einen scheinbar stärkeren Nutzen zur Kontrolle der Hyperaktivität zu. Ein Ergebnis, das aufgrund der geringen Stichprobengröße mit Vorsicht zu interpretieren ist.

Die Entscheidung, ob Pferde oder Hunde in Therapiesitzungen eingesetzt werden, ist aus wirtschaftlicher Sicht von großer Bedeutung, da pferdegestützte Einrichtungen finanziell belastender sind als hundegestützte Einrichtungen.

Alexandridis, A. K., Knust, I., Magiera, J., Wittschier, R. (2023). Zur verhaltensändernden Wirkung von Pferden und Hunden in der Therapie bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 72, 720 – 736 https://doi.org/10.13109/prkk.2023.72.8.722

https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/akzelerometrie