In den Studien sowohl zur Mensch-Tier-Interaktion als auch zur Interaktion von Menschen mit Hörbehinderung liegt der Fokus häufig auf einem der Interaktionspartner, auf der Wirkung von Hunden auf Menschen mit Demenz oder auch auf dem Menschen mit seiner (Hör-) „Schädigung“.
In dieser Studie zur Interaktion tauber und schwerhöriger Menschen mit ihrem eigenen Hund wird demgegenüber das Dazwischen, das Interaktionsgefüge insgesamt, in den Blick genommen, und zwar aus verkörperter Perspektive.
Taube Menschen sind von früher Kindheit an taub und können gesprochene Sprache nicht über das Ohr verstehen. Sie kommunizieren bevorzugt in einer Gebärdensprache, z.B. Deutscher Gebärdensprache (DGS). Taube Menschen sind eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Gesprochene ebenso wie geschriebene Sprachen, wie z.B. Deutsch, sind für taube Menschen wie eine Fremdsprache zu erlernen.
Schwerhörige Menschen können gesprochene Sprache verstehen, abhängig von der Ausprägung und dem Eintrittszeitpunkt ihrer Hörschädigung und unterstützt mit technischen Hilfen. Technische Hilfen können in der Regel den Hörverlust nicht kompensieren, das Sprachverstehen bleibt bruchstückhaft und anstrengend. In der Regel ist die gesprochene Landessprache wie z.B. Deutsch, die Sprache der Wahl zur Kommunikation.
Der Begriff Mensch-Tier-Interaktion ist der Oberbegriff, der auch im Kontext Tiergestützte Interventionen allgegenwärtig ist. Dabei ist nicht näher definiert, was Mensch-Tier- Interaktion konkret ausmacht oder welche Faktoren im Interaktionsprozess Wirkung zeigen.
Bislang ist eindeutig ein anthropozentrischer Bias zu verzeichnen, die Mehrzahl der Untersuchungen konzentriert sich auf die Auswirkungen auf den Menschen oder dessen Einschätzung der Situation und des Befindens des Tiers in der Interaktion. Insbesondere zur wechselseitigen zeitlichen Abstimmung gibt es Untersuchungen, z.B. zur wechselseitigen Synchronie physiologischer Parameter (Naber et al. 2019) und zur Verhaltenssynchronisation (Pirrone et al. 2017, Griffioen et al. 2019). Grundsätzlich ist jedoch ein Mangel an Instrumenten festzustellen, die den bidirektionalen Charakter von Interaktion erfassen (Wilson and Netting 2012, Samet et al. 2022).
In dem Paradigma der Philosophie der Verkörperung/ der Embodied Cognition findet soziale Verständigung zwischen zwei Subjekten statt, die fortlaufend in einem zirkulären Prozess der wechselseitigen Abstimmung von Mimik, Gestik, und Gerichtetheit miteinander verbunden sind. Dem Körper kommt dabei eine zentrale Rolle zu.
Fuchs & De Jaegher (2009) folgend werden in der Untersuchung zwei verkörperte Perspektiven miteinander verknüpft. Zum einen die Perspektive des Enaktivismus aus der Perspektive der Embodied Cognition: Verständnis wird wechselseitig gemeinsam erschaffen, in einer Dynamik von Kopplung und Koordination, hier sind auch Prozesse der Synchronisation als zeitliche Abstimmung einzuordnen. Die zweite Perspektive gründet in der subjektiven, leiblichen Erfahrung und damit in der Phänomenologie.
• Wie wird Verständigung in wechselseitiger Abstimmung gemeinsam geschaffen?
• Wie lassen sich Koordinationsprozesse und zwischenleibliche Resonanz empirisch erfassen?
Menschen | Hören/ Kommunikation | Hunde | Wie alt war der Hund? |
Roman, 37 | Taub seit Geburt | Dackel; 2,2 | 8 Wochen |
Susanne, 53 | Taub seit Geburt | Weimaraner; 9,6 | 10 Wochen |
Simon, 40 | Taub seit Geburt | Franz. Bulldogge; 7,6 | 8 Wochen |
Michael, 57 | Taub seit Geburt | Labradoodle; 3,6 | 9 Wochen |
Christof, 48 | Taub seit Geburt | Australian Shepherd; 2,7 | 8 Wochen |
Milena, 48 | Taub seit Geburt | Magyar Viszla; 5 | 8 Monate |
Charlotte, 31 | Seit 06/2020 ertaubt | Chihuahua; 2,9 | 12 Wochen |
Ina, 26 | Seit 16.Lj. Schwerhörig, Hörgeräte | American Collie, 7 | 8 Wochen |
Viola,54 | Seit Geburt an an Taubheit grenzend schwerhörig | Beagle x Engl. Bulldogge, 10 | 5 Monate |
Selina,53 | Seit Mitte 20 schwerhörig | Labrador, 2 | 8 Wochen |
Die Proband*innen wählen bei allen Erhebungen die Kommunikationsform, die ihnen am angenehmsten ist:
1) lautsprachlich 2) schriftsprachlich 3) in Deutscher Gebärdensprache
„Probieren Sie gerne alles aus…. Es ist hier nicht wie in der Hundeschule, Sie müssen nichts vorführen …. “, dieser Impuls diente dazu, eine möglichst freie Interaktion zu initiieren.
Um in die freien Interaktionen vergleichbare Elemente einzubringen, erhielten alle Proband*innen die gleichen drei Aufgaben, ebenso wurden bei allen Filmaufnahmen zur gleichen Zeit und vergleichbar „Störungen“ eingebaut, z.B. jeweils in Minute 10 betrat eine Person den Raum, die vorgab, etwas holen zu müssen, ohne sich in der Kommunikation auf die Schwerhörigkeit bzw. Taubheit der Probandin oder des Probanden einzustellen.
Ausgewertet werden neben den Videodaten die Transkripte der Kurzinterviews und die im Forschungstagebuch erfassten Begleitdaten.
Die Videodaten werden in einem Mixed Methods Design entsprechend dem theoretischen Rahmen ausgewertet: Zur Erfassung der dynamischen Kopplung werden die Videodaten quantitativ ausgewertet. Dazu werden einerseits Codes deduktiv entwickelt, abgeleitet aus der Literatur zu Kopplung und Resonanz einerseits und Untersuchungen zur Mensch-Tier-Interaktion andererseits (Qualitative Engagement Scale: (Whitham Jones 2018, Human Animal Interaction Scale: Fournier et al.2017, Pirrone et al. 2017).
Diese werden mit induktiv aus dem Videomaterial abgeleiteten Codes ergänzt. Die Codes werden nach Häufigkeit und (teilweise) Dauer ausgewertet.
Entsprechend des theoretischen Rahmens werden Codes gewählt, die den bidirektionalen und wechselseitigen Charakter und den Bezug aufeinander abbilden wie z.B. Ausrichtung des Gesichts bzw. des Körpers oder auch, wer Handlungen initiiert.
Um die subjektive Erfahrung und Resonanz mit einzubringen, wird das Instrument PRISMA zur strukturierten Erfassung der Selbst- und Fremdwahrnehmung (Pieper & Clenin 2010, De Jaegher et al. 2017) angepasst und ausgewählte Videodaten in strukturierten Workshops im Sinne von Forschungswerkstätten ausgewertet. Dabei wird der Körper als „Forschungsinstrument“ genutzt, mehrere Personen schreiben ihre verkörperten Erfahrungen auf und reflektieren und verdichten diese im Sinne einer perspektivischen Triangulation mit dem Ziel, vertiefte bzw. neue Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand zu gewinnen.
Ein Beispiel aus einem Workshop, in dem eine ausgewählte Videosequenz mit Charlotte und Oskar (1 Minute, 43 Sekunden) ausgewertet wurde, in dem eine Person den Raum betritt:
In mehreren Durchgängen wurde zunächst die Selbstwahrnehmung (Beim Beobachten habe ich gefühlt…), die Fremdwahrnehmung (Mir schien, der andere hat gefühlt…) und die Wahrnehmung des „Dazwischen“ zwischen den Interaktionspartnern (Mir schien, dass zwischen den beiden ein Gefühl von…war).Im sich anschließenden Austausch über den Prozess und den Gegenstand wurde über die Suche nach Ähnlichkeiten und einer Essenz die Distanzierung von subjektiver Erfahrung erreicht.
De Jaegher, H., & Di Paolo, E. (2007). Participatory sense-making. Phenomenology and the Cognitive Sciences, 6(4), 485-507. https://doi.org/10.1007/s11097-007-9076-9
De Jaegher, H., Di Paolo, E., & Gallagher, S. (2010). Can social interaction constitute social cognition. Trends in Cognitive Sciences, 14(10), 441-447. https://doi.org/10.1016/j.tics.2010.06.009s55
De Jaegher, H., Pieper, B., Clénin, D., & Fuchs, T. (2017). Grasping intersubjectivity: an invitation to embody social interaction research. Phenomenology and the Cognitive Sciences, 16(3), 491-523.
Fuchs, T., & De Jaegher, H. (2009). Enactive intersubjectivity: Participatory sense-making and mutual incorporation. Phenomenology and the Cognitive Sciences, 8(4), 465-486. https://doi.org/10.1007/s11097-009-9136-4
Griffioen, R. E., van der Steen, S., Verheggen, T., Enders-Slegers, M. J., & Cox, R. (2019). Changes in behavioural synchrony during dog-assisted therapy for children with autism spectrum disorder and children with Downsyndrome. J Appl Res Intellect Disabil. https://doi.org/10.1111/jar.12682
Naber, A., Kreuzer, L., Zink, R., Millesi, E., Palme, R., Hediger, K., & Glenk, L. M. (2019). Heart rate, heart rate variability and salivary cortisol as indicators of arousal and synchrony in clients with intellectual disability, horses and therapist during equine-assisted interventions. Pet Behaviour Science, 7), 17-23. https://doi.org/10.21071/pbs.v0i7.11801
Pieper, B., & Clénin, D. (2010). Verkörperte Selbst-und Fremdwahrnehmung sozialen Handelns. Eine praktisch-theoretische Forschungsperspektive. In F. Boehle & M. Weihrich (Eds.), Die Körperlichkeit sozialen Handelns. Soziale Ordnung jenseits von Normen und Institutionen (261−296). transcript.
Pirrone, F., Ripamonti, A., Garoni, E. C., Stradiotti, S., & Albertini, M. (2017). Measuring social synchrony and stress in the handler-dog dyad during animal-assisted activities: A pilot study. Journal of Veterinary Behavior, 21, 45-52. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1558787817300527
Ramseyer, F., & Tschacher, W. (2011). Nonverbal Synchrony in Psychotherapy: Coordinated Body Movement Reflects Relationship Quality and Outcome. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 79, 284-295.
Rodriguez, K. E., Guérin, N. A., Gabriels, R. L., Serpell, J. A., Schreiner, P. J., & O’Haire, M. E. (2018). The state of assessment in human-animal interaction research. Hum. Anim. Interact. Bull, 6, 63-81.
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Verheggen, T./ Enders-Slegers, M.J./ Eshuis, J. (2017): Enactive Anthrozoology: Toward an integrative theoretical model for understanding the therapeutic relationships between humans and animals. Human-Animal Interaction Bulletin 2017, Human-Animal Interaction Bulletin Vol. 5, No. 2,13–35
Wilson, C. C., & Netting, F. E. (2012). The Status of Instrument Development in the Human–Animal Interaction Field. Anthrozoös, 25(sup1), s11-s55. https://doi.org/10.2752/175303712×13353430376977